Über Elly Geisler, Schülerin der Schwenckestraße 91

Die Buchlesung am 9. April 2025 zur Erzählung von Agnes Geisler, „Ich war die Nummer Z-3182″ findet in der Eimsbütteler Wolfgang-Borchert-Schule in der Schwenckestraße 91/93 statt. Ihre Schwester, Elly, ging damals in die Schule Schwenckestraße 91, ihre Schwester Marianne in die Schwenckestraße 93. Damals waren es zwei unterschiedliche Schulen. Am 9. April 2025 wird es Erinnerungen zu den drei Schwestern geben, die jede in eine andere Schule in der Schwenckstraße gingen (Agnes ging in die‘“98“). Im Laufe der Recherche zum Geschichte der heutigen Wolfgang-Borchert-Schule fanden sich mehrere eigene Erzählungen zur 91 und 93 in der NS-Zeit.

Elly Geisler ging, seit die Familie Ende der 1930er Jahre im Hellkamp 36 wohnte,  in die sogenannte Hilfsschule der Schwenckestraße 91. Geboren wurde sie am 17. Juni 1929 in Scharzfeld im Harz. Ihre Eltern waren Maria Lauenburger (geb. 1903) und Peter Geisler (geb. 1899). Sie hatte noch fünf Geschwister:  Anna (geb. 1922), Johann (geb. 1924), Paul (geb. 1927), Marianne (geb. 1931) und Agnes (geb. 1933). Ihr Vater war Artist und die Familie zog vorher mit dem Zirkus (von Manus Ackermann) im Wohnwagen durch Deutschland. Irgendwann hatte der Zirkus seine Zelte in Scharzfeld aufgebaut, so dass dies der Geburtsort von Elly 1929 wurde. Durch Anordnung des NS-Regime vom 17. Oktober 1939 war es Roma und Sinti verboten, auf Wanderschaft zu gehen. 

Die Schwester von Elly, Agnes, erinnerte sich später an ihre Wohnung im Hellkamp 36. “In unserer Wohnung stand in der großen Stube ein Klavier, es gehörte meinem Vater. Er war ein sehr musikalischer Mann und beherrschte insgesamt 14 Musikinstrumente. Neben dem Klavier u.a. Gitarre, Zitter und Saxophon.”

Während Elly auf die Schwenckestraße 91 ging, war ihre Schwester Marianne auf der Mädchen-Volksschule Schwenckestraße 93 und Agnes auf der Schule Schanzenstraße 98. Die drei, so Agnes, wurden jeden Tag von ihrer Mutter zur Schule gebracht. Ihrer Mutter “war es auch immer wichtig, dass sie uns Kakao und mit Wurst und Käse belegte Brote mit in die Schule gab.”

Da die Familie zur Minderheit der Sinti in Deutschland gehörte, wurden sie vom NS-System politisch entrechtet, vertrieben und verfolgt. Mit den „Nürnberger Rassegesetzen“ (1935) wurden sie wie die jüdischen Menschen staatlich ausgegrenzt. Ihr „Blut“ schadete angeblich dem deutschen Volk. Sie wurden als „arbeitsscheu“‘und „asozial“ diffamiert. 1938 wurden die Männer willkürlich in KZs verschleppt , die Frauen zur Zwangsarbeit in Hamburger Unternehmen verpflichtet. Ab 1939 sollten alle Sinti und Roma aus Hamburg in ein Lager (in Billstedt) eingesperrt werden.

Die Pläne wurden gestoppt, da sich 1940 die NS-Führung entschieden hatte, sie in den Osten zu deportieren. Damit begann ihre systematische Vernichtung. Die erste Deportation von fast 1.000 Sinti aus Hamburg in den Osten erfolgte am 20. Mai 1940 über den Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity, hinter dem SPIEGEL-Gebäude).. 

Elly Geisler, ihre Eltern und Geschwister wurden mit der zweiten Deportation über den Hannoverschen Bahnhof (heute Hafencity, hinter dem SPIEGEL-Gebäude) am 11. März 1943 ins KZ Auschwitz deportiert.

Insgesamt wurden an dem Tag 357 Roma und Sinti aus Hamburg ins KZ verschleppt. Einige Tage vorher waren die Geislers von der Kriminalpolizei aus ihrer Wohnung im Hellkamp abgeholt und in den Fruchtschuppen C im Hamburger Freihafen in der Nähe des Hannoverschen Bahnhof verschleppt worden. “Es war früher Morgen, so gegen 5 Uhr. Es klopfte und hämmerte an unserer Haustür… Wir wurden aufgefordert, sofort in einen Planwagen zu steigen, der vor der Tür stand. .. Wir gingen auf über eine ausgeklappte Verladerampe  auf die Ladefläche des Planwagens… Wir Kinder weinten und schrien bitterlich, meine Eltern versuchten, uns zu trösten.” Am Tag der Deportation wurden sie vom Fruchtschuppen C zum Hannoverschen Bahnhof gebracht. “In kleinen Gruppen standen wir vor den Viehwagen, der meiner Familie zugeteilt wurde. Die Schiebetür wurde aufgeschoben und wir mussten einsteigen.” In Auschwitz angekommen, wurde sie tätowiert. “Ein sehr schmerzhafter Vorgang! Tätowiert wurde mit einem umgebauten Büchsenöffner. An der Spitze war eine Nadel befestigt, die in die Tinte getunkt wurde.” Elly erhielt die Nummer “Z-3680”.  

Im Auschwitz gab es im Lager Auschwitz -Birkenau die Sektion „BII e“, dass nur für die Sinti und Roma eingerichtet wurde. “Unser Lager war umzäunt mit einem doppelten Elektrozaun, der unter Starkstrom stand”, erinnerte sich Agnes. “Meine Schwester Elly hatte durch den Elektrozaun einen freundschaftlichen Kontakt zu einem Mann, er hieß Heinz Tellas. Er war direkt im Männerlager, welches an unserem angrenzte, untergebracht. Heinz warf ihr heimlich neben ein paar Brotstücken auch eine wunderschöne Kette durch den Elektrozaun.” Beim einem so genannten Appell entdeckte in SS-Mann die Kette. Da Elly Geisler den Namen verweigerte. wurde ihr gesagt, “dass sie 25 Schläge als Strafe erhalten würde.”

Elly und ihre Schwester Marianne Geisler wurden am 19. April 1944 von Auschwitz ins KZ Ravensbrück verschleppt. Hier wurden sie beide zwangssterilisiert. Elly, “musste sich auf eine Liege legen und von der Decke wurde eine Platte heruntergefahren, die an ihrem Oberkörper erhielten. .. sie verursachten ein furchtbares brennen.”

Ihre beiden Schwestern, Agnes und Anna (geb. 1922), wurden am 6. August 1944 von Auschwitz nach Ravensbrück verschleppt. Mit dabei war auch noch Gisela Geisler (geb. 1940), die Tochter von Anna, die kürzlich (2025) wie Agnes Geisler verstorben ist. Ihre Tochter Doris war im KZ Auschwitz 1943 ums Leben gekommen.

Vom KZ Ravensbrück kamen Elly und Marianne Ende August 1944 ins KZ Buchenwald,  wo es ein KZ-Außenlager der Firma Hugo Schneider gab. HASAG war ein deutsches Rüstungsunternehmen, das in den letzten Kriegsjahren des Zweiten Weltkrieges Panzerfäuste produzierte. Beide mussten bei den HASAG-Werken in Altenburg bei Leipzig arbeiten.  Ein paar Tage später kamen sie Anfang September 1944 ins Außenlager Schlieben-Berga. Mitte. September 1944 wurde im KZ Buchenwald ein ein größerer Transport von 1057 Frauen ins Außenlager Tucha zusammengestellt. Marianne und Elly wurden in einem Transport am 16. September 1944 von 350 Frauen dorthin in ein weiteres KZ-Außenlager der HASAG-Werke verschleppt. 

Die Frauen, darunter viele Sinti und Romnija, Jüdinnen sowie politische Gefangene, mussten in 12-Stunden-Schichten Kartuschehülsen und Granatmunition produzieren. Am 14. April 1945 trieb die SS etwa 1.200 Frauen zu Fuß auf die sogenannten Todesmärsche Richtung Osten, wo ein Großteil wenige Tage später zwischen Mühlberg und Riesa an der Elbe befreit wurde. 

Marianne und Elly Geisler kamen nach ihrer Befreiung am 9. Juni 1945 in Hamburg in der ersten Zeit in der Eimsbütteler Chaussee 45 im Haus 3. Ihr Vater und ihre Brüder wurden im August 1944 von Auschwitz in KZ Außenlager Mittelbau-Dora verschleppt. Sie überlebten und lebten seit Mai 1945 in der Osterstraße 104.

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