Einladung zum Erinnern: Aus dem Leben der Familie Dublon
2022 jährt sich zum 80sten Mal die Deportation von über 1.000 jüdischen Menschen am 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße. Insgesamt wurden in diesem Monat 2.100 Menschen aus Hamburg nach Auschwitz und Theresienstadt/Terezin verschleppt. Zu den wenigen Überlebenden gehörten Gretchen und Daniel Dublon. Ihre Tochter Hilde überlebte nicht.
Gerne möchten wir Sie zu einer Lesung aus Dokumenten der Familie Dublon am
Donnerstag, 23. Juni 2022 17 Uhr Lagerstraße/Ecke Schanzenstraße
einladen.
Die Familie Dublon war eng mit dem Viertel verbunden. Sie lebten, lernten und arbeiteten rund um den Bahnhof Sternschanze. Daniel Dublon war seit 1912 im Viehhandel tätig. Er war nach dem 1. Weltkrieg auch als Viehhändler in Lüneburg und Hamburg auf den dortigen Schlachthöfen unterwegs. Seit 1928 wohnte er in der Schanzenstraße 54. Er kaufte Vieh und versicherte es, bevor sie in die Verwertungsbetriebe geliefert wurden. Der damalige Großhändler Christian Schulz, schrieb, dass es sich bei Dublon um “ wöchentlich durchschnittlich um 2 bis 2.500 Schweine” gehandelt hatte. Die Provisionserlöse aus dem Viehhandel waren sein erfolgreiches Hauptgeschäft. Sein Arbeitsort waren die Hallen auf den heutigen “Schanzenhöfen”.
Um die Interessen der Viehhändler besser gegenüber der Stadt und den abnehmenden Großhändlern zu vertreten, gründeten sie 1927 einen Verband, den „Verein der Einsender der Viehhändler”. Deren Geschäftsführer wurde Daniel Dublon. Die erste Zeit befand sich sein Büro unter seiner Wohnadresse. Ab 1930 waren die Geschäftsräume im Gebäude der Schanzenstraße 75/77, das damals den Namen “Triton-Haus“ trug, benannte nach dem Eigentümer. Als die Nazis 1933 die Macht übernahmen, wurde alle Verbände „arisiert“, d.h. ihre jüdischen Mitglieder ausgeschlossen. Auch traten fast alle Viehhändler in die NSDAP ein. Ab 1936 war es jüdischen Menschen verboten, mit Vieh zu handeln oder es zu verarbeiten. Wie andere jüdische Viehhändler erhielt Daniel Dublon 1937 ein Zutrittsverbot zum Schlachthof.
Seine Tochter, Hilde Dublon, war 1924 in Lüneburg geboren, wo Daniel und Gretchen wohnten. Die Familie trennte sich. Gretchen zog 1931 mit ihrer Tochter zuerst in die Grindelallee 7. Seit 1935 ging sie in die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35. Gewissermaßen lag zwischen ihrer Schule und der väterlichen Wohnung der große Hamburger Schlachthof. Von 1932 bis 1938 wohnten Gretchen und Hilde in der Hallerstraße 45, heute hinter den „Grindel-Häusern“ gelegen. Am 17. Juni 2022 wird für Hilde Dublon hier ein Stolperstein verlegt.
Daniel Dublon war seit jungen Jahren Mitglied im Eimsbütteler Turnverein ETV. Die Nazis hatten nach ihrer Machtübernahme die jüdischen Menschen als „unerwünscht“ aus den Sportvereinen verdrängt, so auch Daniel Dublon. Danach leitete er zeitweilig die Fußballabteilung der Sportgruppe „Schild“, in der sich im Juni 1933 jüdische Sportlerinnen und Sportler zusammengetan hatten. Die Sportgruppe „Schild“ zählte in Hamburg 1.200 Aktive. In ganz Deutschland waren es 1935 40.000. Nach den November-Pogromen wurden jüdische Sportvereine aufgelöst.
Alle drei Dublons wurden am 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße deportiert. Hilde starb am 15. Mai 1943 an den Lebensbedingungen im Getto an Typhus. Gretchen konnte schon im Januar 1945 das Getto verlassen. Die Schweiz nahm sie mit anderen 1.200 Insassen auf. Daniel Dublon erlebte die Befreiung von Theresienstadt/Terezin im April 1945 durch die Rote Armee. Daniel Dublon starb mit 64 Jahren am 30. Januar 1960 in Hamburg, Gretchen mit 68 Jahren am 14. April 1964 in ihrer neuen Heimat, in St. Louis/USA.
Warum heute erinnern?
Für uns ist der 80. Jahrestag der Deportation über die Schule der Anlass, sich der Lebens- geschichten der jüdischen Menschen zu erinnern. Es ist eine historische Verant- wortung, sie nicht zu vergessen. Eine der Überlebenden der Deportation, Berthie Philipp, schrieb, “dass die erlittenen Schäden durch die Naziverfolgung nicht durch Geld- mittel gut zu machen sind, sondern durch die moralische Verpflichtung, alle Wege zu Aufbau eines makellosen Deutschland zu ebnen.“
Erinnern bedeutet, sich zu informieren, sich eine Meinung zu bilden und Haltung einzunehmen. Gerade auch weil es Kräfte im rechten Lager gibt, die in alltäglichen Losungen ihre antisemitischen Sichtweisen verbreiten. Die Wortwahl ist heute nicht mehr so offensichtlich brutal, aber sie verfolgen das gleiche Ziel: eine rassistische und völkische Sichtweise von der „weißen“ Besonderheit und der Zuweisung von Schuld an andere Menschengruppen auf Grund ihrer Herkunft, ihres Geschlechts, religiöser Haltung und Identität.