Ella Michel hatte 1938 als Lernschwestern im Israelitischen Krankenhaus an der Eckernförder Straße 4 in Hamburg-St. Pauli angefangen. Am 10. März 1943 wurde sie über die Schäferkamp 29, dem damaligen Standort des Krankenhauses, nach Terezin/Theresienstadt deportiert. Im Juli 2024 wird ihre Tochter erstmals in Hamburg sein und verschiedenen Arbeitsorte ihrer Mutter besuchen. Vor der Schäferkampsallee 29 es kommt vor dem Haus zu verschiedenen Begegnungen.
Entstehung des Israelitischen Krankenhauses in der Eckernförder Straße in St. Pauli 1843
Als Ella Michel in der Eckernförder Straße als Lernschwester begann bestand die Einrichtung fast 100 Jahre. Am 10. Juni 1841 wurde hier der Grundstein für das Krankenhaus gelegt. Am 7. September 1843 wurde es eingeweiht, im Dezember begann der Betrieb. Damit gehörte es zu den ersten jüdischen Kliniken in ganz Deutschland und stand allen Hamburger Einwohnern, gleich welcher Religionszugehörigkeit, offen.
1927 gab es bereits 125 Betten. 1929 wurde ein fünfgeschossiger Erweiterungsbau für die chirurgische Station gebaut, der durch einen Senats-Kredit finanziert wurde. 1930 verfügte das Krankenhaus über insgesamt 230 Betten. 1931, so Harro Jenss in der Broschüre über das IKH-Geschichte, war der Höhepunkt der Auslastung hinsichtlich der Patienten:innen und Krankenpflege-Tage.
Die Wende in der Geschichte des Israelitischen Krankenhauses mit dem Machtantritt der Nazis 1933
Mit der Machtübernahme der NSDAP und ihrer verbündeten konservativen Parteien Anfang 1933 änderten sich die Rahmenbedingungen für das Krankenhaus grundlegend. „Arische“ Patienten blieben ab April 1933 ab, da die Krankenkassen die Bezahlung ablehnten. 60 % der Betten waren nur belegt. 1937 waren es nur noch 22,4 %. Bis 1940 nahm die Anzahl der abgerechneten Pflegetage um mehr als die Hälfte ab. Die Ausbildung zur Krankenschwester wurde zeitweilig untersagt. Staatliche Behinderung untergrub systematisch seine finanzielle Basis.
Bereits 1935 wird mit einem Brief des Vorsitzenden des Nationalsozialistischen Deutschen Ärztebundes Hamburg an das Staatliche Gesundheitsamt das Ende der erfolgreichen Institution am IK eingeleitet: „Wie wir erfahren haben, soll das Israelitische Krankenhaus eine gut gehende Poliklinik besitzen. Wir machen im Interesse der Volksgesundheit und der Zurückdämmung des jüdischen Einflusses in der Bevölkerung den Vorschlag, diese Poliklinik in ein anderes Krankenhaus (Hafen- oder Vereinskrankenhaus) einzugliedern.”
Alle jüdischen Ärzte verloren am 30. September 1938 ihre Approbation und durften den ärztlichen Titel nicht mehr führen. 15 jüdischen Ärzte des IKH durften sich nur noch als „Krankenbehandlern“ bezeichen. Die Abhaltung der Sprechstunden außerhalb des Krankenhauses war verboten. Die „Neuordnung“ und Aufgabenzuweisung für die „jüdischen Krankenbehandler“ durch die Ärztekammer Hamburg enthielt zudem die Aufforderung, „alle jüdischen Patienten (auch versicherungspflichtige), bei denen eine klinische Behandlung notwendig ist, in das Israelitische Krankenhaus einzuweisen, da bei den anderen Krankenanstalten die Unterbringung von Juden verständlicherweise auf Schwierigkeiten stößt. „
1938 zeigte sich, dass aufgrund mangelnder Auslastung des Krankenhauses und aufgezehrter Geldmittel das Finanzproblem des IKH unlösbar war. Mindestens seit Mitte des Jahres 1938 wurde innerhalb der Hamburger Stadtkämmerei und der Gesundheitsverwaltung aktiv an Plänen gearbeitet, die Gebäude an der Eckernförder Straße anderweitig zu nutzen: „Es wurde erörtert, ob das Israelitische Krankenhaus in St. Pauli in den Besitz des Staats überführt werden könne, nachdem von jüdischer Seite selbst mitgeteilt sei, dass die Anstalt sich in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten befinde und vielleicht einmal aufgegeben werden solle. Hierzu wurde einerseits betont, dass das Bestehen eines besonderen jüdischen Krankenhauses, das die Juden von den öffentlichen Krankenhäusern fernhielte, manche Vorteile böte, andererseits aber, dass anscheinend das genannte Krankenhaus für eine psychiatrische Klinik nicht ungeeignet sei. „
Der erzwungene Umzug des Israelitischen Krankenhaus aus der Eckernförder Straße 1939 in die Johnsallee
Am 13. Oktober 1938 wurde die Finanzverwwaltung der Stadt beauftragt, zur Übernahme des Grundstückes und der Liegenschaften „gegen den Betrag der Schulden“ als Ziel zu verfolgen. Im September 1939 wurde die jüdische Gemeinde zu einem Abkommen mit der Stadt HAmburg genötigt: Das Restvermögen, die Gebäude und Liegenschaften wurden dem Staat überschrieben; als Gegenleistung verzichtete dieser auf Zinsforderungen und sonstige Außenstände. Der Senatssyndikus erklärte am 20. September 1939: „Grundstück und Gebäude werden übernommen für die Schulden, die das Jüdische Krankenhaus gegen die Hansestadt Hamburg hat. Der Betrag 1 108 347 RM und rückständige Zinsen ist bei einem vorläufigen Einheitswert des Grundstückes von 1 125 000 RM angemessen. Die Übernahme des Israelitischen Krankenhauses ist durch Ausbruch des Krieges notwendig und dringlich geworden, weil dort jetzt eine Kieferklinik eingerichtet wird.“ Das Gebäude wurde von der deutschen Wehrmacht beschlagnahmt, um hier ein Lazarett einzurichten. Die Übernahme des Krankenhausgeländes an der Eckernförder Straße erfolgte zum 1. Oktober 1939; das Krankenhaus zog am 15. September 1939 in die Johnsallee 68 um. Als notdürftiger Ersatz fungierten zwei Hamburger Gebäude in der Johnsallee 54 sowie 68, seit 1942 nur noch das Gebäude in der Johnsallee 68.
Umzug im September 1942 in der Schäferkampsallee 25/27 und 29
Im September 1942 wurde das Krankenhaus auf Anordnung der NS-Behörden gezwungen, den Standort in der Johnsallee 68 zu verlassen und es kam es zum Umzug in das Gebäude des ehemaligen jüdischen Pflege- und Siechenheims in der Hamburger Schäferkampsallee 29. In dem Gebäude bestand damals rund Platz für ca. 25 Betten. Die chronisch Kranken und Pflegefälle aus dem Krankenhaus wurden in der Schäferkampsallee 25/27, seit 1928 im Besitz der Jüdischen Gemeinde und wie die 29 ein Pflegeheim, wurden ebenfalls benutzt. Beide Gebäude standen nach der Deportation vom 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße leer.
Schwere Entscheidungen der Ärzte
Wie bereits in der Johnsallee 68 mussten die Ärzt:innen auch in der Schäferkampsallee 29 über die Transportfähigkeit der von der Deportation Bedrohten entscheiden. Sie standen dabei vor einem unvorstellbaren und unlösbaren Dilemma. Wurde eine Unfähigkeit zu einem „Transport“ oder für den „Arbeitseinsatz“ attestiert und dadurch ein Einzelner vor dem „Abtransport“ bewahrt, wurde von der Gestapo ein Anderer ausgewählt. In dem Buch von Harro Jenns, Marcus Jahn, Peter Layer, Carsten Zornig, „Israelitisches Krankenhaus in Hamburg – 175 Jahre“ gehen sie auf dieses Thema ein.
Eva Pfeiffer-Haufrect, die vom April 1939 bis 1945 im IK als OP- und Röntgenschwester tätig war, berichtete von den zahlreichen Suiziden in zeitlich engem Zusammenhang mit den drohenden Deportationen. Ab dem 10. Juni 1943 unterstand das IK den strengen Vorgaben und Kontrollen der „Rest-Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, die wiederum die Befehle der „vorgesetzten Behörde“, der GESTAPO, auszuführen hatte. Seit November 1943 durtfte sich das Israelitische Krankenhaus nur noch als “jüdische Krankenstation” bezeichnen. Es verfügte noch über 17 Bettem für jüdische Patienten:innen.
Und heute?
Wilhelm Mosel schrieb über die Zeit ab 1944 im der Schäferkampsallee: “Das Krankenhaus bestand in der Folgezeit nur noch „kümmerlich“ fort. Bei Kriegsende existierte das Krankenhaus noch in dem „sehr bescheidenen“ Haus in der Schäferkampsallee, ja, es war die einzige jüdische Einrichtung dieser Art in Deutschland, die noch in Betrieb war. Aber noch 14 Monate nach Kriegende, also im Herbst 1946, hatte das Haus mit seinen 40 Krankenbetten zum großen Teil „primitive“ eiserne Bettstellen, deren Matratzen zerschlissen und die mit Holzwolle gefüllt waren. Die Patientenzimmer hatten zum Teil keinen Farbanstrich, es waren einfache Kalkwände. In einigen Zimmern waren die Bombenschäden noch zu sehen. Die Wände und Decken zeigten Risse, die Fenster schlossen schlecht. In dem Linoleum der Fußböden befanden sich große Löcher. Bett- und Operationswäsche war völlig unzureichend, ja, Nähgarn konnte zum Ausbessern der Wäsche nicht genügend beschafft wer-den. Bei Neuaufnahmen von Patienten mußte zur Bedingung gemacht gend waren, verschoben werden mußten, bis die Wäsche aus der Wäscherei angeliefert wurde. Trotz unbestreitbarer Verbesserungen – Mitte der 50er Jahre – waren die Bedingungen in dem veralteten, fast baufälligen Haus immer noch nicht zufriedenstellend. Aber erst 1958 konnte man an einen Neubau an der Alsterkrugchaussee herangehen, der 1961 insgesamt fertiggestellt wurde.
In der Eckernförder Straße 4, heute Simon-von-Utrecht-Straße 4 in St. Pauli, wurde das Krankenhaus 1943 in eine Kieferklinik und ein Reservelazarett umgewandelt. Es war zeitweilig ein Zwangsarbeitslager für italienische Militärinternierte. Der Ursprungsbau war durch Luftangriffe stark beschädigt und nach dem Krieg zunächst nur notdürftig für eine gewerbliche Nutzung wiederhergerichtet. Erst 1987 begann man mit einer umfassenden Instandsetzung. Am 24. September 1991 erfolgte die Eintragung in die Denkmalliste. 2000 diente es als Kundenzentrum des Ortsamts St. Pauli, später zog ein Jobcenter dort ein, das 2024 aber aus dem Gebäude ausgezogen ist.