Ruth Geistlich überlebte das Getto Terezin – Mitdeportierte von Ella Michel

Ruth Geistlich gehörte wie Ella Michel zu den Überlebenden der Deportation vom 10. März 1943. Von den 50 überlebten 12 Menschen. Es sind alles eigenständige und tragische Erzählungen. Ruth Geistlich ist die einzige noch lebende der damals Verschleppten und wohnt mit 96 Jahren in Eimsbüttel. Zu einer Begegnung mit der Familie von Ella und ihr kommt es leider nicht. Hier einige auf- und abgeschriebene Notizen zu ihr:

Karin Guth hat sich in ihrem Buch “Bornstraße 22 – Ein Erinnerungsbuch” Ruth Geistlichs Aufwachsen in Nachkriegsdeutschland nach dem 1. Welt, dem Leben in der Weimarer Republik als jüdisches Kind, in der NS-Zeit, aber auch nach der Befreiung von Faschismus beschrieben.

„Als Ruth 1928 geboren wurde, war Asta (ihre Mutter) noch zu jung, um die Verantwortung für die Erziehung ihrer Tochter aus sich zu nehmen. Deshalb schien das jüdische Kinderheim und Waisenhaus Paulinenstift, Laufgraben 37, für die große Familie (Geistlich) unter den schweren finanziellen Verhältnissen der beste Ort für das Kind zu sein. Dort wuchs Ruth Geistlich ganz in jüdischer Tradition auf. In diesem Kinderheim fühlte sie sich in den ersten 14 Jahren ihres Lebens sehr wohl.” Sie besuchte die Israelitische Töchterschule in der Karolinenstraße 35 bis zu deren Schließung.

Im Sommer 1928 wohnte die Familie Geistlich in der damaligen Elbstraße (heute Neandersteraße). Die Mutter von Ruth, Asta Geistlich, war am 13. März 1913 geboren. Asta Eltern, Ella und Paul Geistlich hatten neun gemeinsame Kinder. Bei ihnen wohnten auch noch zwei weitere Kinder von Ella, so dass bis zur Geburt von Ruth zeitweise elf Kinder zu ernähren waren. Später wohnte die Familie Geistlich in einer 3 ½ Zimmerwohnung in der Wexstraße 6..

Ruth Dräger erzählte im Gespräch von ihrer “Rettung” durch ihren Opa Paul, der sie aus dem Waisenhaus im Laufgraben 37 abholte. Sie war für den Transport nach Auschwitz am 10. Juli 1942 vorgesehen. “Als Ruth zusammen mit den anderen Kindern auf Anordnung der Gestapo aus dem Mädchenwaisenhaus Paulinenstift am Laufgraben 37 in das Waisenhaus für Knaben am Papendamm 3 umziehen musste, unterrichtete ihn eine Erzieherin über ihre bevorstehende Deportation am 11. Juli 1942 nach Auschwitz. Daraufhin holte er seine Enkelin nach Einbruch der Dunkelheit aus dem Waisenhaus ab, lud ihre Sachen samt Bettgestell auf eine Schottsche Karre und rettete somit ihr Leben. Weder die verbliebenen dreizehn Kinder noch die letzten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Waisenhauses überlebten die Deportation“, schrieb Susanne Rosendahl in ihrem Text über Familie Geistlich von den Hamburger Stolpersteinen.

Die Geistlich lebten bis Anfang 1942 noch in der Wexstraße 6, aber mit dem März-Beschluss der Gestapo von 1942 mussten auch die Geistlich aus der Wexstraße in ein “Judenhaus” ziehen, in die Bornstraße 22,  um über sie auch die Deportationen organisieren zu können. Auf der Hamburger Hausmeldekartei zur Bornstraße 22 kann ich nur das Jahr entziffern, nicht das Datum.“

Zum 10. März 1943 erhielten Lieselotte, Esther und auch Asta Geistlich mit ihren beiden Töchtern Ruth und Dorrit ihre Deportationsbefehle nach Theresienstadt. Ursula Geistlich wurde am 5. Mai 1943  nach Theresienstadt verschleppt. Um ihre jüngste Tochter Vera nach Theresienstadt begleiten zu können, ließen sich Ella und Paul Geistlich scheiden. „Sie gab den Schutz einer „Mischehe“ auf, nur so konnte sie ihre Tochter am 9. Juni 1943 nach Theresienstadt begleiten, wo es ihr gelang die Familie zusammen zu halten“, schreibt Susanne Rosendahl. Paul blieb zuerst zurück in der Bornstraße 22, später zog er in die Roonstraße 44. 

Asta Geistlich und ihre beiden Töchter, Ruth und Dorrit, ihre Schwestern Ester, Lieselotte, Vera und ihre Mutter Ella Geistlich überlebten Theresienstadt. „Kurt Geistlich“, so Susanne Rosendahl, „überlebte zwei Jahre Haft im Zuchthaus und sechs Jahre unmenschliche Lebensbedingungen in verschiedenen Konzentrationslagern wie Sachsenhausen, Groß-Rosen und Auschwitz-Birkenau.“

Ursula Geistlich und Werner Geistlich wurden von den Nazis ermordet, genauso die beiden Kinder von Ruths Oma, Ella Geistlich, aus ihrer ersten Beziehung, Rosa und Max, überlebten nicht.  Ruth Geistlich Mutter, Asta, emigrierte 1949  mit ihrer zweiten Tochter, Dorrit, in die USA. Ruth lebte in der Kielortallee.  Beim Verlassen ihrer Wohnung musste ich an Karin Guths Einschätzung denken:  “Ruth Dräger ist eine Frau, die nicht aufgibt, sich in der Welt zu behaupten…. Sie kämpfte erfolgreich gegen eine schwere Krankheit. Sie lebt trotz vieler Enttäuschungen und mancher Benachteiligungen ohne Groll.”

Am 12. Januar 2024 feierte Ruth Dräger ihren 96. Geburtstag in Hamburg-Eimsbüttel.

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