Amalie Bredemeyer war eine mutigen Schüler aus der Schule Schanzenstraße, die mit dem NS-Regime nicht einverstanden war. Sie war bereit, ihr Leben aufs Spiel zu setzten, um zu helfen, dass die NS-Diktatur endet. .
Im März 1945 wurde Amalie Bredemeyer aus der Amandastraße 85 wegen „Landesverrats“ zu vier Jahren Gefängnis von NS-Volksgerichthof in Berlin verurteilt. Ihr Vergehen: Sie hatte 1943 auf einem Hamburger Stadtplan Orte markiert, an denen sich Rüstungsproduktionsstandorte befanden. Sie wollte diesen Stadtplan ihrem Verlobten bei seiner Flucht nach England mitgeben. Beide wurden vom Volksgerichtshof in Schnellverfahren verurteilt. Er wurde hingerichtet. Nach 1945 wurde das Urteil gegen Amalie Köster nicht etwa aufgehoben. Die Behörden stellten vielmehr immer wieder fest: Sie hätte ja Landesverrat begangen. Während die Stadt Hamburg die NSDAP-Schulleiterin der Schule Schanzenstraße, Emma Lange, nach 1945 wieder in den Schuldienst übernahm, trotz ihrer NS-Geschichte zur Schulleiterin machte und ihr auch nach ihrer Pensionierung immer wieder zum Geburtstag gratulierte, obwohl sie eine schlimme Frau war, wurde Amalie Bredemeyer nie gedankt.
Als der damalige SPD-Vorsitzende Erich Ollenhauer 1950 einen Antrag für ein bundeseinheitliches Gesetz zur Wiedergutmachung nationalsozialistischen Unrechts in den Bundestag einbrachte, wurde der nicht angenommen. CDU/CSU und FDP begründeten das damit, weil dann auch die Attentäter des 20. Juli 1944 rehabilitiert worden wären. Gegen eine Generalamnestie wiederum verwahrten sich Bundesjustizminister Thomas Dehler (FDP) und andere, bemängelten eine fehlende Rechtssicherheit.
Amalie war 15 Jahre alt, als sie die Schule Schanzenstraße in Hamburg-Eimsbüttel nach Abschluss der achten Klasse am 31. März 1940 verließ. Geboren war sie am 18. März 1926 in der Nähe von Verden an der Aller, in Dörverden. Mit ihren Eltern, Johanna und Wilhelm Bredemeyer, wohnte sie seit den 1930er Jahren in der Amandastraße 85 im 3. Stock.
Da zunehmend deutsche Arbeitskräfte in die Wehrmacht einberufen wurden, wurden auch junge Frauen dienstverpflichtet, um die „Lücken“ abzudecken. Amalie konnte keine Ausbildung beginnen, sondern musste ab 1941 bei den Valvo Radioröhrenfabriken in Stellingen arbeiten, die ab 1942 „Philips Valvo Werke“ hießen (heute Philips Medizin). Eine Kollegin von ihr, die damals 24-jährige Lieselotte Lamp, schilderte folgendes: „Auf dem Weg zu meiner Arbeitsstätte, zu Valvo, mußte ich eine lange Strecke mit der Straßenbahn fahren. Natürlich schaute ich rechts und links aus den Fenstern. Da waren viele Trümmer, und nahe Eidelstedt lagen die Baracken der polnischen und russischen Arbeiterinnen. Ich sah sie auf dem Weg zur Arbeit, sah ihre jämmerlichen Uniformen: Filzstiefel und geflickte Klamotten. Mühsam wanderten sie auf der Straße im Gleichschritt irgendwohin.“ Die Zwangsarbeiter bei Valvo kamen aus vielen Ländern. In der ersten Zeit wurden vor allem Arbeitskräfte aus den besetzten Niederlanden und Belgien gesucht. Dazu fuhren Abgesandte von Hamburger Unternehmen in die großen Städte wie z.B. nach Antwerpen, um mit Unterstützung des NS-Regierung in Belgien Arbeitskräfte anzuwerben. Die Nazis hatten die Arbeitsämter in Belgien, Niederlande oder Frankreich dem Reichsarbeitsamt unterstellt, so dass die Ankunft der Arbeitskräfte vorbereitet werden konnte, um das deutsche Fachpersonal zügig zu ersetzen.
Später kamen die Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter für Valvo vor allem aus der Sowjetunion, von wo aus sie nach Deutschland verschleppt wurden Im Dezember 1942 wurde ein Zwangsarbeitslager mit vier Baracken für 670 Russinnen für die Valvo geplant. Das Unternehmen setzte aber auch jüdische Menschen in der Produktion ein. Zuvor unter Gewaltanwendung aus ihren Wohnungen, von den Arbeitsplätzen vertrieben, misshandelt und festgenommen, wurden tausende von ihnen bei der „Aktion Arbeitsscheu“ in KZ festgesetzt. Jetzt brauchte man sie für die Kriegsproduktion. Sie wurden in so genannten Judenkolonnen eingesetzt. Sie arbeiteten getrennt von den “Ariern” unter Bewachung, schlechter Bezahlung und unter schlechten Arbeitsbedingungen. Es gibt Erzählungen, dass sie auch von der Gestapo überwacht wurden. Andere Erzählungen der jüdischen Zwangsarbeit in der Periode bis zu den großen Deportationen 1942 belegen, dass sich genügend “arische” Vorgesetzte fanden, die die jüdischen Menschen im Arbeitsprozess antrieben und dies gerne taten.
Valvo fand immer neue Möglichkeiten, Menschen zwang zu verpflichten, so ab September/Oktober 1943 weitere 57 italienische Militärinternierte. Die italienischen Soldaten hatten sich nach dem Sturz Mussolinis geweigert, für die Nazi-Armee in den Krieg zu ziehen. 600.000 wurden nach Deutschland verschleppt. In Hamburg waren es 17.000 IMI in über 600 Unternehmen. Ab 1944 wurden auch KZ-Häftlinge eingesetzt.
Amalie Bredemeyer und Leopold Garcia
Einer der belgischen Zwangsarbeiter in Hamburg war Leopold Garcia, am 5. März 1920 in Lier, nahe Antwerpen, geboren. Ab September 1940 wohnte er in einer Sammelunterkunft in Buchholz, im Westfleth 11.
Am 23. Juni 1942 fuhr er wieder in seinen Geburtstort und wurde für den Bau des Westwalls zur Organisation Todt verpflichtet. Amalie Bredemeyer und Leopold Garcia lernen sich vermutlich 1942 kennen, sie wurden ein Paar. Aus den handschriftlichen Unterlagen von Amalie Bredemeyer kann man entnehmen, dass er dem Befehl, in der Organisation Todt weiterzuarbeiten, nicht mehr nachkam. Er war, so schreibt sie, “ein großer Gegner des Nationalsozialismus.”
Planung der Flucht
“Da er nicht zu Hitlers Diensten wollte (Organisation Todt), ergriff er als Ausweg die Fahnenflucht. Da meine Eltern und ich der gleichen Meinung waren, wusste er, dass wir ihn aufnehmen werden. Wir hielten ihn dann 14 Tage verborgen.”, schrieb sie. Da Leopolds Mutter Engländerin war und dort lebte, plante er, dorthin zu fliehen, über Belgien. Amalie beschloss, Leopold zu helfen, auch unter dem Eindruck der Zwangsarbeit ihrer Mutter und dem Tod ihres Vaters an der Russlandfront: “Da ich das Hitlerregime hasste und überzeugt war, dass dafür ein Sturz der Regierung den ersehnten Frieden bringen müsste, fertigte ich einen Stadtplan von Hamburg an, in dem ich alle kriegswichtigen Einzelheiten aufschrieb.“ Der Plan sollte einer englischen Organisation übergeben werden. „Ich sagte mir, ein Ende mit Schrecken ist einem Schrecken ohne Ende vorzuziehen. Ich wollte, dass endlich Schluss ist mit der wahnsinnigen Regierung und dazu war mir jedes Mittel Recht.”
Den Stadtplan übergab sie einer Freundin, Susanne Hardy, eine Deutsche, in Belgien geboren. Doch er wurde von der Gestapo entdeckt. Am 3. Juni 1943 wurde Amalie auf dfer Arbeit von zwei Gestapo-Beamten festgenommen. Leopold wurden in Belgien aufgegriffen, festgenommen und nach Berlin gebracht. Was aus Susanne Hardy wurde, ist nicht bekannt. Eine Suchanfragek aus dem Jahr 1948 lief ins Leere.
Zuchthaus und Hinrichtung
Vom 3. Juni 1943 bis 21. April 1945 wurde Amalie in verschiedenen Gefängnissen festgehalten. Zunächst drei Monate im Hamburger Kolafu, dann sieben Monate im Hamburger Untersuchungsgefängnis. Zur Überführung zum so genannten Volksgerichtshof in Berlin war sie einige Tage im Zuchthaus Cottbus bzw. Berlin-Moabit. Am 16. Juni 1944 war vor dem Volksgerichtshof die Hauptverhandlung gegen Amalie und Leopold. Ab Juli 1944 hatte man Amalie dann ins Frauengefängnis Berlin Lichtenberg gesteckt; Leopold, der im Zuchthaus Meseritz-Brandenburg einsaß, wurde wegen “Landesverrat” zum Tode verurteilt. Er wurde am 24. Juli 1944, 15 Uhr im Zuchthaus Brandenburg-Görden hingerichtet, seine Leiche verbrannt.
Amalie wurde zu vier Jahren wegen “Landesverrat” zu vier Jahren Gefängnis verurteilt, doch am 21. April 1945 von der Roten Armee befreit. In Hamburg bekam sie danach eine Beschäftigung bei der britischen Kontrollkommission, bis diese ihre Arbeit 1949 einstellte. Ein neuer Mann kam in ihr Leben, Edgar Köster, sie wurde schwanger.
Noch 1945 wird sie von der Stadt Hamburg zur Verräterin erklärt
Das von der Hamburgischen Bürgerschaft im Mai 1948 beschlossene Wiedergutmachungsgesetz sah eine monatliche Rente u.a. für NS-Verfolgte vor. Am 28. Mai 1949 stellte auch Amalie einen Antrag an die Feststellungsbehörde und bittet um einen Vorschuss von 300 M. “Der Antrag erfolgt auf Grund meiner jetzigen Entlassung bei der CCB und der bevorstehenden Geburt eines Kindes”. Sie verwies auf die engen Wohnverhältnisse, in einem zwölf Quadratmeter großem Zimmer und ihre Verurteilung durch den Volksgerichtshof.
Doch statt der erhofften Hilfe schloss sich der Ausschuss der Rechtsprechung des NS-Volksgerichtshofes an: Man entzog ihr die Sonderhilfsberechtigung, da es sich bei ihrer Tat, dem Feind der Nazis Informationen zu bekommen zu lassen, um Landesverrat gehandelt hätte.
Staatsarchiv Hamburg 351-11_48068
Auch die Wiedergutmachungsstelle bestätigt die Entscheidung der NS-Justiz: Am 8. Dezember 1949 erfolgt der Beschluss, Amalies Antrag auf Haftentschädigung abzulehnen: Sie sei nicht aus politischen Gründen verfolgt worden. Auch die Berufung wurde zurückgewiesen: “Die Berufsstelle hat nicht die Überzeugung gewinnen können, dass es sich bei der Tat, deretwegen die Beschwerdeführerin 1 Jahr KZ-Haft hat hinnehmen müssen, um eine gegen das NS-Regime gerichtete Handlung gehandelt hat. Die Zusendung des Hamburger Stadtplans an ihren Verlobten … verstieß jedoch gegen Verbotsgesetze, die in jedem Land zur Verhinderung der Spionage bestehen.”
Die Hamburger Wiedergutmachungsverfahren wurden aus vielen Gründen immer wieder kritisiert: So führten (teils sogar NS-belastete) Gutachter bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts psychische und physische Schäden auf angeborene Faktoren zurück; staatliche Akten, die finanzielle Einbußen bewiesen hätten, wurden nicht zur Verfügung gestellt usw. Als bürokratisches Hinderniss erwies sich auch die Stichtagsregelung, nach der Antragssteller ihren Wohnsitz zu einem bestimmten Zeitpunkt in Hamburg haben mussten. Oder die Fristenregelungen, die im Ausland lebenden Betroffenen nicht unbedingt bekannt waren. Vor allem aber wurden Menschen etlicher Opfergruppen, Zwangssterilisierte, Homosexuelle, Kommunisten u. a. als »vergessene Opfer des NS-Regimes«. Oder auch Personen, die als Kriminelle galten, aber tatsächlich aus politischen Gründen verurteilt worden waren, von jeglicher Wiedergutmachung ausgegrenzt.
In einem späteren Verfahren nach dem Bundesentschädigungsgesetz von 1956 bestätigte die Sozialbehörde erneut die Auffassung Hamburger Ämter und Gerichte gegen Amalie. Wieder mit der gleichen Erzählung: Was Amalie gemacht hätte – eine Landkarte für den Feind anzufertigen – würde in jedem Rechtsstaat bestraft. Es erfolgt kein Hinterfragen, ob der Volksgerichtshof eine Einrichtung des NS-Staates gewesen war. Im Gegenteil, es wird ausdrücklich gebilligt, denn “in jedem Rechtsstaat (wird Spionage) bestraft und zwar selbstverständlich besonders hart, wenn dies während Kriegszeiten geschieht.”
Erst 2009 wurde alle Urteile aus der Zeit des Naziregimes pauschal aufgehoben – fast 75 Jahre nach Kriegsende.