Sich an Menschen zu erinnern, zeugt von Anteilnahme

Liebe Nachbarinnen und Nachbarn aus der Thadenstraße,

am morgigen Sonnabend, dem 31. August 2024, sollen Stolpersteine, die an fünf NS-Opfer erinnern, der Öffentlichkeit um 11 Uhr vor der Thadenstraße 79 übergeben werden. In der Zeit von 11 bis 12 Uhr ist die Thadenstraße auf Höhe der Kreuzung Bernstorffstraße gesperrt. Der Fußweg auf der Seite der geraden Hausnummern ist normal zu benutzen. Ich hoffe, dass die Radfahrerinnen und Radfahrer den nötigen Respekt aufbringen.

Was möchte ich von Ihnen?

Seit einer Woche wird das Einladungsplakat zur Kundgebung täglich von jemandem von den „Laternenmasten“ der Thadenstraße abgerissen (sie werden danach wieder angebracht). Diese Form der Ankündigung zielt darauf ab, sichtbar auf die Stolperstein-Verlegung öffentlich hinzuweisen und sie für einen kleinen Augenblick im Straßenbild zum Thema zu machen. Ich persönlich finde das Verhalten der Person, die jeden Tag die Plakate abreißt, schäbig. Was auch immer die Motive sind – man kann doch nicht gegen eine Erinnerung an NS-Opfer aus Ihrer Straße sein?

Die Angehörigen der beiden Familien, deren Mitglieder damals in Auschwitz ermordet wurden, werden am 31. August 2024 dabei sein. Dass man in dem Wohngebiet an diejenigen erinnert, die von dem NS-System damals alle vernichtet wurden – die Sinti und Roma sowie die jüdischen Menschen – bleibt meiner Meinung nach immer noch eine verantwortliche Aufgabe. Ich sehe nicht, dass wir dafür als Nachgeborene Schuld tragen. Mir persönlich liegt es fern, das Geschehen von damals heute jemandem von uns vorzuwerfen oder mit dem Zeigefinger durch Ihre Straße zu laufen.

Um was geht es?

In den Straßen Ihres Wohngebiets lebten seit den 1930er Jahren sehr viele Sinti und Roma. In jeder Straße! Ihre Kinder gingen hier zur Schule. Wilhelm Lutz, an den ein Stolperstein erinnern soll, arbeitete schon viele Jahre bei Blohm & Voss. Unter ihnen waren deutsche Bürger, die im Ersten Weltkrieg im Kaiserreich ausgezeichnet wurden. Es waren Nachbarn! Der Rassismus hat dazu geführt, dass man sie erst ausgrenzte und später ermordete, weil sie Sinti und Roma waren. Sie wurden in der Gesellschaft isoliert, und damit war es leicht, keine Solidarität zu bekunden.

Menschlichkeit zeichnet sich durch Anteilnahme, Hilfsbereitschaft oder Solidarität aus. Das sollte man auch heute im Blick haben, wo Gruppen auf Hass und Hetze setzen, um diese Werte zu verdrängen. Ich denke, an diese Nachbarn zu erinnern, zeugt in meinen Augen auch von Anteilnahme und Respekt für menschliche Werte.

Gruß

Holger Artus  

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