Vor der ehemaligen Turnhalle der Israelitischen Töchterschule in der Flora-Neumann-Straße 1 beginnt am Montag, den 29. April 2024 um 17 Uhr ein Stadtteil-Rundgang, der die jüdische Töchterschule thematisiert: Vor 82 Jahren 1942 hatte die Naziregierung der Stadt Hamburg verfügt, sie zu schließen. Der Rundgang wird an verschiedenen Stationen im Viertel die Geschichte der Schließung von Dezember 1941 bis Mai 1942 nacherzählen. Eine Zeitreise, die an die Schicksale der Mädchen erinnert, die dort unterrichtet worden waren.
Die weiteren Stationen des Rundgangs
Die zweite Station des Rundganges ist an der Ecke zu Glashüttenstraße/Flora Neumann-Straße. Dort befand sich die Sprachschule Kampstraße 58. Von dort geht es zur Ganztagsgrundschule Sternschanze und anschließend in die Felix-Dahn-Straße, wo sich heute das Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung ist, damals ebenfalls eine Schule. Auf dem Weg zurück machen wir am Laufgraben 39 und an der Karolinenstraße 35 halt. Diese Stationen befassen sich mit der Reorganisation der Sprachheilschulen und deren antisemitischer Instrumentalisierung.
Warum treffen vor der Turnhalle in der Flora-Neumann-Straße?
Die vollständige Vernichtung aller jüdischen Menschen war im Herbst 1942 beschlossene Sache. In den Monaten Oktober bis Dezember 1941 hatten bereits erste Massendeportationen tausender Opfer aus Hamburg stattgefunden. Zuvor, ab 1938, hatte der Raubkauf jüdischer Unternehmen und Immobilien und die Vertreibung aus ihren Wohnungen begonnen. Die Turnhalle der Israelitischen Töchterschule stand ebenfalls im Fokus der Nationalsozialisten. Hintergrund war zudem, dass die Turnhalle der Volksschule Kampstraße von den Bombardements der britischen Armee zerstört worden war.
So schrieb die Schulverwaltung am 13. Dezember 1941 an die Kämmerei, heute Finanzbehörde: “Nichts kann näher liegen als der Gedanke, diese Turnhalle in den Dienst der benachbarten Volksschule zu stellen. Selten ist eine Gelegenheit so günstig gewesen, der Judenschaft zu zeigen, dass keine Schuld auf Erden ungerächt bleibt. Wenn die Turnhalle der deutschen Volksschule in der Kampstraße durch englische Bomben zerstört wurde, dann ist es recht und billig, dass die Juden, die englischen Freunde und Kriegstreiber, dafür Ersatz schaffen. Es ist auch nicht einzusehen, dass deutsche Kinder auf turnerische Übungen verzichten müssen, während Judenstämmlinge sich in unmittelbarer Nachbarschaft derer erfreuen dürfen. Die Schulverwaltung stellt deshalb den Antrag, die Enteignung der Jüdischen Turnhalle zugunsten der Mädchenvolksschule Kampstraße betreiben zu wollen.” (die damalige Kampstraße heißt heute Flora-Neumann-Straße)
Wenig später, am 22. Dezember 1941, schrieb die Kämmerei an die jüdische Gemeinde, dass sie die Turnhalle kaufen wolle. Die jüdische Gemeinde lehnte ab. Sie antwortet am 6. Februar 1942, dass die Turnhalle “weiterhin für die noch vorhandenen etwa 100 schulpflichtigen Kinder zur Erteilung des von der Schulbehörde vorgeschriebenen Pflichtunterrichtung der Kinder dringend benötigt wird”. Am 4. März 1942 untersagte die Schulverwaltung der Israelitischen Töchterschule deren Nutzung. Die war bereits eine faktische Enteignung, später erfolgte noch der Raubkauf.
Warum treffen vor der Schule Schanzenstraße?
Seit Dezember 1941 wollte die Hamburger Schulverwaltung die Töchterschule in der Karolinenstraße für ihre Zwecke nutzen. Die Gestapo hatte zur Auflage gemacht, dass es für die jüdischen Schüler:innen alternative Räume geben müsse. Doch die damalige Schulleiterin Emma Lange der Schule Schanzenstraße verweigerte die Übernahme der Mädchen und bediente sich antisemitischer „Argumente“. Emma Lange schrieb am 2. April 1942 in einem Brief an die Schulbehörde, dass das Umfeld an die Anwesenheit von Juden ihrer Schule „nicht gewöhnt“ sei. Jüdische Kinder würden den „guten Ruf der Schule gefährden“. „Besser gestellte Personen aus den Vorderhäusern“ und „Parteigenossen unter den Eltern“ würden ihre Kinder bestimmt sofort umschulen. Jüdische und nichtjüdische Kinder, die gemeinsam ihre Pausen auf dem Schulhof verbringen – ein solches „enges Beisammensein arischer Personen mit jüdischen Kindern muss im Dritten Reich als unhaltbar abgelehnt werden.“
Daraufhin erklärte die NSDAP-Kreisleitung, dass diese Umsetzung für sie nicht in Frage käme. Hamburgs Reichsstatthalter Karl Kaufmann beendete weitere Debatten und verfügte am 29. April 1942, dass „eine Unterrichtung von Judenkindern in Schulen sofort aufzuhören“ habe. Es war für 13 Mädchen und Jungen das Todesurteil: Die Pläne für die letzten Massendeportationen waren vorangeschritten, am 15. und 19. Juli 1942 über die Schule Schanzenstraße über 1.500 jüdischen Menschen stattfanden. Darunter auch 13 der Israelitischen Töchterschule. Bereits am 11. Juli 1942 waren weitere Mädchen nach Auschwitz verschleppt worden. Vor dem Schuleingang zur Ganztagsgrundschule Sternschanze in der Schanzenstraße erinnert eine Stolperschwelle an die 13 Kinder.
Warum treffen vor (damaligen) Felix-Dahn-Schule?
Die Räume der damaligen Schule Felix-Dahn-Straße waren ein Ort, den die Schulbehörde 1942 ins Gespräch gebracht hatte, dass hier die Schüler:innen der Israelitischen Töchterschule einziehen sollten. Im Gegenzug wollte man die Schüler:innen aus der Felix-Dahn-Straße dorthin umsetzen. Am 31. März 1942 gab es eine Stellungnahme der Verantwortlichen der damaligen Lehrerfortbildungsansanstat (LHB in der Hohen Weide), dass man die Räume selber für die Zukunft benötige. Warum? Ende 1941 begann in der Hamburger Schulverwaltung die Bedarfsplanung an Lehrer:innen nach dem „Sieg“ in 2. Weltkrieg. Viele Lehrer waren Soldaten im Krieg, man rechnete mit weiterem Zuzug von Deutschen aus den Ostgebieten nach Hamburg und sah den Bedarf für neue sowie junge Lehrkräfte. Um dieses Vorhaben zu realisieren, benötigte das damalige LBA mehr Räume, sprich die der Felix-Dahn-Schule.
Auch die andere angedachte Schule als neuen Standort der Israelitischen Töchterschule, die Schule Schanzenstraße, lehnte deren Aufnahme in das dortige Gebäude ab. Am 29. April 1942 verfügte die NSDAP die Schließung der Israelitischen Töchterschule.
Adolf Lambeck war damals der Schulleiter der Schule Felix Dahn Straße. Seit 1939 waren in der Schule zwei so genannte Sprachheilschulen eingezogen. Er wurde Schulleiter für die beiden Herkunftorte aus der Kampstraße 58 und der Schanzenstraße 105 geworden. Für seine Karriere wollte er unbedingt die jüdische Schule in der Karolinenstraße 35.
Adolf Lambeck (geb. 1887), war ein völkischer und rassistischer Lehrer. Er war seit dem 1. März 1935 Schulleiter der Sprachheilschule Altonaer Straße/Schanzenstraße und bis zu seiner Pensionierung Schulleiter der Sprachheilschule in der Karolinenstraße. “Als Mitglied des ‚Nationalsozialistischen Lehrerbundes’ (NSLB) und Fachschaftsleiter der Gaufachschaft V (Sonderschulen) in Hamburg organisierte er Fortbildungsveranstaltungen, trat in seinen umfangreichen Veröffentlichungen beispielsweise für die „Aussonderung von minderwertigem Menschenmaterial aus der Sonderschule“ ein und redete der Sterilisation von ‚Erbkranken‘ das Wort. Er war seit 1937 Mitglied der NSDAP und gehörte zum Korps der Politischen Leiter in der NSDAP. Das „Korps“ wurde 1946 zur verbrecherischen Organisation erklärt. Nach dem Kontrollratsgesetz Nr. 10 waren damit Strafen vom „teilweisen Verlust der bürgerlichen Rechte“ bis zur Todesstrafe möglich. Lambeck wurde in Hamburg nicht zur Rechenschaft gezogen, er durfte in gleicher beruflicher Stellung als Schulleiter weiter arbeiten. Die Stadt Hamburg bedankte sich sogar anlässlich seiner Pensionierung 1952 für seine Arbeit.
Im Mai 1942 zog die Sprachheilschule aus der Felix-Dahn-Straße aus. Sie wurde wieder auf zwei Standorte verteilt: Einmal zurück in die Schule Schanzenstraße 105, wo im 3. Stock Klassenräume leer standen und zum anderen in die Israelitische Töchterschule, in der Karolinenstraße 35.