Wilhelm Lutz wurde am 11. März 1943 zusammen mit 356 weiteren Sinti und Roma über den Hannoverschen Bahnhof ins KZ Auschwitz deportiert. Auch Else Rosenbach und ihre Kinder Rudolph, Johan und Josef, mit denen Wilhelm Lutz zusammen lebte, waren darunter.
Die Familie Lutz/Rosenbach wohnte zum Zeitpunkt der Deportation Thadenstraße 83 in der ersten Etage in einer 3-Zimmerwohnung. Die gesamte Häuserzeile, zu der das kleine einstöckige Gebäude gehörte und Eigentum des Fischräucherei-Unternehmers Johann Wedel gewesen war, gibt es heute nicht mehr. Aber die Halle der Fischfabrik hinter der Thadenstraße 79-81/83 besteht komplett.
Wilhelm Lutz war am 20. August 1908 in Schönebeck bei Magdeburg als fünftes von neun Kindern von Katharina Franzen und Joseph Lutz auf die Welt gekommen. Das Paar kam ursprünglich aus Amberg/Bayern. Seine Geschwister hatten unterschiedliche Geburtsorte: Anna war 1899 in Scharpenhufe geboren, Dorothee 1902 in Düshorn, eine weitere Anna 1904 in Jeggeleben, Karl 1907 in Berlin, Ludwig 1912 in Hamburg, Adam 1914 in Bungerhof, Olga 1917 in Rotenburg und Johann 1922 in Seelow.
Seit 1924 hatten Katharina und Joseph mit ihren Kindern Vereinsstraße 18 im Hamburger Schanzenviertel gewohnt. Die vier ältesten Kinder lebten da bereits nicht mehr bei ihren Eltern und hatten zum Teil eigene Familien.
Über die Lebensstationen von Wilhelm ist wenig bekannt. 1938 hatte er bei Blohm & Voss als Schlosser gearbeitet. Am 8. März 1943 wurde er entlassen – vermutlich, weil sich die Polizei wegen seiner bevorstehenden Deportation an das Unternehmen gewandt haben dürfte. So war es der Sintizza Maria Borstelmann, die in der Talstraße in St. Pauli, gelebt hatte, ergangen: Die Gestapo war zu ihr an den Arbeitsplatz bei Valvo (heute Philipps Medizin) gekommen und hatte mitgeteilt, wann und wo sie sich einzufinden habe.
Alle Kinder und Enkelkinder von Katharina und Josef Lutz wurden verfolgt. Da Joseph kein Sinto war, wurden sie nicht bereits am 20. Mai 1940 deportiert. Jedoch wurde Wilhelms dritte Schwester Anna (Gulidai), die wegen eines angeblichen Delikts am 18. März 1940 festgenommen worden war, bereits am 6. April 1940 ins KZ Ravensbrück verschleppt. Dreieihalb Jahre später, am 25. Oktober 1943, kam sie dort ums Leben.
Die Enkelkinder erlebten unterschiedliche Schikanen und Entrechtungen: Sie wurden zwangssterilisiert, wegen eines vermeintlichen Brötchendiebstahl verhaftet, ins Krankenhaus Langenhorn eingewiesen wurden,von dort aus nach Hadamar deportiert und ermordet.
Am 14. März 1943 erreichten Wilhelm Lutz (Desto), Else Rosenbach (Lenna) den Lagerabschnitt B II e des KZ Auschwitz, der von der SS „Zigeunerlager“ genannt wurde und von elektrisch geladenem Stacheldraht umgeben war. Bis zu 1.000 Menschen waren jeweils in den Wohnbaracken auf dreigeschossigen Holzpritschen untergebracht. Einen Monat später hatte das Wachpersonal über 12000 Roma und Sinti dort eingepfercht. Insgesamt wurden 23.000 Menschen dort inhaftiert. Nahezu 90 Prozent von ihnen überlebten Auschwitz nicht: Die ersten Massenvergasungen mit Zyklon B hatten im März und im Mai stattgefunden, durch die über 2.700 Männer, Frauen und Kinder ermordet wurden. Viele erlagen auch Krankheiten wie Flecktyphus oder sie verhungerten. Im Lager geborenen Säuglinge und die Kleinkinder hatten von vornherein keine Überlebenschance.
Auch die Mitglieder der Familie Rosenbach/Lutz überlebte den Porajmos, den Holocaust an den europäischen Roma und Sinti, nicht.